Herta Rockachs

(Über)Lebens-Geschichte

Teil 1: Höchst und Brüssel

Höchst

Herta wird am 16. Juli 1920 in Höchst geboren. Ihre Eltern heißen Amalie und Wolf Neumann.

Die Familie hat ein Geschäft in der Dalbergstraße 2a. Sie verkaufen Fahrräder, Motorräder und Nähmaschinen.

„Wir hatten einen sehr schönen Laden und führten ein gutes Leben.“

Herta wird 1926 eingeschult. Sie besucht zunächst die heutige Robert-Blum-Schule, in der dritten Klasse wechselt sie auf die Hostatoschule. Von 1930 bis 1936 geht sie auf unsere Schule, die damals Städtisches Lyzeum hieß.

Jetzt lernst du Herta kennen. Sie hat 1995 ein langes Interview mit der USC Shoah Foundation geführt. Einige Ausschnitte des Interviews kannst du im Laufe dieser Geschichte anschauen.

Als erstes erzählt Herta von ihrer Schulzeit.

1933 ist das Jahr, in dem Hitler zum Reichskanzler ernannt wird, weil ein großer Teil der Deutschen seine Partei, die NSDAP, gewählt hat.

Die Nationalsozialisten erlassen ab 1933 viele antijüdische Gesetze.

Herta ist Jüdin. Für sie und ihre Familie wird das Leben nun sehr schwierig. Hör selbst, was sie sagt:

Hier kannst du einige Gesetze nachlesen:

  • ab 1933 durfte nur noch 5% der Schülerschaft jüdisch sein
  • Jüdinnen und Juden wurden aus Sportvereinen ausgeschlossen
  • Juden und Jüdinnen durften nicht mehr als Lehrer, Arzt oder Rechtsanwalt arbeiten
  • Rassenkunde wurde ein Unterrichtsfach
  • ab 1934 musste man sich in der Klasse mit „Heil Hitler“ begrüßen
  • 1935 wurden die „Nürnberger Rassengesetze“ erlassen. Juden durften z.B. keine Nicht-Juden mehr heiraten und sie verloren ihre Reichsbürgerschaft
  • ab 1935 durften jüdische Kinder nicht mehr mit auf Klassenfahrten
  • Juden und Jüdinnen durften nicht mehr in Jugendherbergen übernachten, nicht mehr ins Kino oder Schwimmbad gehen
  • 1936 wurde jüdischer Religionsunterricht verboten
  • ab 1941 wurden Juden gezwungen, einen gelben Stern auf der Kleidung zu tragen
  • ab 1942 durften Juden nicht mehr in die Schule gehen, keine Haustiere mehr halten und bekamen weniger Lebensmittel als andere

Möchtest du wissen, wie es Herta als Jugendliche ging? Dann schau dir das nächste Video an. Sie berichtet, wie es sich anfühlte, ein jüdischer Teenager in der Nazi-Zeit zu sein.

„Überall stand geschrieben: Juden sind hier unerwünscht.“

Das Geschäft der Eltern läuft immer schlechter, weil viele Menschen den Boykottaufrufen der Nazis folgen. Es wird dazu aufgerufen, nicht mehr in jüdischen Läden einzukaufen.

Die Neumanns müssen ihre Wohnung verkaufen. Doch dann kommt es noch viel schlimmer.

Am 9. November 1938 bricht in Höchst und in ganz Deutschland offene Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aus.

In Deutschland werden tausende Juden verschleppt, misshandelt, ermordet. Synagogen und jüdische Geschäfte werden geplündert und zerstört.

Die Höchster Synagoge wird am 10. November in Brand gesetzt und geplündert. Später reißen die Nazis sie ab.

Jüdinnen und Juden werden auf offener Straße angegriffen. Viele Männer werden in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und dort unter schrecklichen Bedingungen festgehalten, auch Hertas Vater.

Alle jüdischen Geschäfte werden geplündert und zerstört.

Im Geschäft der Neumanns entsteht ein Schaden von ca. 50.000 Reichsmark.

Herta berichtet über diesen Tag der Novemberpogrome. Im Video spricht sie von der „Kristallnacht“, ein verharmlosender Begriff, der 1939 geprägt wurde und auch in den 1990ern noch gängig war.

Herta 1937 

Es gab aber in dieser schrecklichen Zeit auch kleine Lichtblicke.

Die Existenz der Familie ist zerstört. Nur mit Mühe gelingt es der Mutter, ihren Mann aus dem Konzentrationslager Buchenwald freizubekommen. Ihnen wird all ihr Erspartes weggenommen und Wolf Neumann muss sich einmal pro Woche bei der Polizei melden. Die Familie ist in Deutschland nicht mehr sicher und entschließt sich, nach Belgien zu fliehen, wie viele andere jüdische Familien auch.

Brüssel

Zuerst flieht der Vater, ein paar Wochen später folgen ihm Amalie und Herta.

„Mein Vater wurde in einem Sarg über die Grenze geschmuggelt. Sie dachten, er wäre tot.“

Die Neumanns planen, in die USA auszuwandern. Wolf Neumann hat sogar schon Schiffskarten gekauft. Doch 1940 überfallen die Deutschen Belgien. Es ist zu spät.

Der belgische Vermieter hat eine Wohnung außerhalb von Brüssel, wo sie sich eine Weile verstecken können.

Der Vater unternimmt noch mehr, um seine Tochter zu retten. Herta erzählt davon im nächsten Video.

Doch 1942 werden die Eltern verraten. Herta berichtet, wie sie die Verhaftung der Eltern durch die Gestapo (Geheime Staatspolizei des Deutschen Reichs) miterlebt hat.

Herta will zu ihren Eltern, doch sie wird von Freunden zurückgehalten. Sie sieht ihre Eltern nie wieder. Sie werden in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Auch Herta wird kurze Zeit später nach Auschwitz deportiert.

Wenn du ihrer Lebensgeschichte weiterfolgen möchtest, dann lies nun den zweiten Teil.